Kopf-Hals-Instabilitäten können nach Etagen eingeteilt werden, in denen sie vorliegen.
Vorab sei noch erwähnt, daß es bereits Studien zu Distorsionsverletzungsfolgen gibt. Eine sehr bekannte und von Gutachtern gerne angewendete Studie befasst sich mit isolierten Alarligamentverletzungen.
Leider ist das in vivo selten der Fall. In der Regel erleidet der Patient ein
Polytrauma und das hat in der Regel verschiedene strukturelle Verletzungen zur Folge.
Atlantookzipitale Instabilitäten
Aufgrund von Rupturen der Membranen der Articulatio atlantooccipitalis und der Membrana tectoria kann es zu rotatorischen Bewegungen in der atlantookzipitalen Funktionseinheit kommen.
Ebenso ist ein Side-Shifting möglich. Die Kondylen des Os occipitale bleiben nicht mehr in den Foveae der Wirbelbogenfüßchen des Atlas.
Eine weitere Verletzung, die diese Instabilität begünstigt, ist die Ruptur der anterioren und/oder posterioren atlantookzipitalen Membran, durch letztere muß übrigens die Vertebralarterie - eine Vernarbung oder Ossification kann zu haltungsabhängiger Stenosierung führen, ein sog. Gefäßkinking. Ebenso kann es zu einer Elongation der Vertebralarterien kommen.
Atlantoaxiale rotatorisch oder translative Instabilitäten
Instabilitäten im Atlantoaxialgelenk können exzentrisch rotatorische (Sub)Luxationen sein, aber auch lateral-translative Luxationen (quasi ein Abrutschen des Atlas zu einer Seite auf den schrägen Gelenkflächen des Axis).
Verletzungsmuster können hierbei ein- oder beidseitige
Rupturen der Capsulae der Articulatio atlantoaxialis lateralis sein, nicht selten liegt auch eine Ruptur der Gelenkkapsel der Articulatio atlantoaxialis mediana vor.
Merke: der Dens ist mit dem vorderen Atlasbogen gelenkig, also durch Faserknorpel verbunden. Eine Ruptur verstärkt die Möglichkeiten der Luxation enorm.
Ferner kann das Ligamentum cruciatum atlantis und auch eine Ruptur der Membrana tectoria zu einer AP-Instabilität atlantoaxial führen, dabei kommt es aber auf Höhe des Dens axis noch nicht zwangsläufig zur Einengung des Spinalkanals.
Eine AP-Instabilität kann sich durch eine Erweiterung der atlantodentalen Distanz von mehr als zwei Millimeter in Anteflexion zeigen. Ab sieben Millimetern ist eine komplette Ruptur des Lig. transversum atlantis, ab 11 Millimetern eine Zerreißung der Alarligamente anzunehmen. Eine atlantoaxiale Lateralisierung zeigt sich am besten in Seitenneigung, dabei wird sichtbar, wie im AP-Blick der Abstand zwischen lateraler Densbegrenzung und ipsilateraler Massa lateralis atlantis-Begrenzung der »Gelenkspalt« verringert.
Komplexe Densapex-Fehlfunktion
Die Apikalligamente (Crus superiores des Lig. cruciatum atlantis, die median dorsal hinter dem Ligamentum apicis dentis liegen, die Membrana tectoria und nicht zuletzt die Ligg. alaria sorgen dafür, daß der Dens axis stets median an der Ventralkante des Foramen magnum gestellt bleibt. Der Dens axis kann also in der Regel nicht gegen die Medulläre Zone quetschen. Zudem sorgen die Ligamenta alaria dafür, daß auch bei Rotation und Lateralflexion der Dens axis stets zum Os occipitale zentriert und fest an der Ventralkante des Foramen magnum bleibt.
Somit sind die densapikalen Ligamente ein Stabilisator, der Vertebra Axis ggü. dem Os occipitale stabilisiert, somit stellt diese multiligamentäre Verbindung ein komplexes Sicherheitsystem über zwei Wirbeletagen dar.
Bei einer Ruptur wandert der Dens chaotisch aus der medianen Konfluationslinie und kann somit medulläre Irritationen oder Quetschungen auslösen, selbst wenn in MRT-Befunden der Arachnoidalraum intakt scheint.
Diagnose
Um diesen Gelenkverlust zwischen Dens axis und Os occipitale zu beobachten, bietet sich eine röntgenologische transorale Densprojektion in Lateralflexion an, um einzusehen, ob der Dens bei Seitenneigung zu einer Seite »ausschert«.
In der Regel liegt eine Kombination verschiedener Gelenkkapselverletzungen und Bänderverletzungen vor.
Fazit zu okzipitoatlantoaxialer Instabilität
Das Vorliegen einer Instabilität im Bereich der Kopfgelenke kann sowohl zu einer direkten mechanischen (intermittierenden) Quetschung der Medulla oblongata führen, aber sie kann ebenso zu einer relativ maskierten (in Normalpositon, Ante- und Retroflexion kaum diagnostizierbaren) Okklusion der Vertebralarterien führen mit all den oben genannten Beschwerden.
Mitunter verhindert ein Schutzspasmus des wachen Patienten ein ausgiebiges Disloziieren des Gefüges.
Manche Patienten berichteten, daß ihre Beschwerden am häufigsten oder am intensivsten im Schlaf auftraten. Sobald ihre Körper in tiefer Entspannung waren, konnten die Gelenke auseinanderdriften und teils zu schwerwiegender Minderdurchblutung mit hypoxischem Weckreiz mit vollkommener Desorientierung, kortikaler Blindheit, massivsten brennenden Hinterhauptschmerzen, Unfähigkeit zu sprechen, Kreislaufkrisen und Unfähigkeit Extremitäten zu bewegen führen.
Patienten schilderten, sie fixierten sich selbst auf einer Liege, um den Kopf stets absolut zentriert zu halten, in selbstgebauten Liegesystemen, um zu überleben.
Anguläre Instabilität und diskreter Segmentkollaps (angular kyphosis)
Eine anguläre segmentale Instabilität, auch Segmentkollaps genannt, kann über den gesamten Bereich der Halswirbelsäule auftreten. Sie entsteht bei Verletzungen der posterioren Ligamente
Dazu können weitere Verletzungen das Ausmaß verstärken, wie bspw. die Ruptur der Gelenkkapseln der Zwischenwirbelgelenke. Insb. die Ruptur des Lig. longitudinale posterius kann zu chaotischen Listhesis-Zuständen führen, insb. bei Entspannung der tiefen Hals- (M. colli) und Nackenmuskulatur. Eine segmentale Instabilität kann zu lateraler, anterograder oder retrograder Spondylolisthesis führen mit Kompression der Vertebralarterien.
Höhenminderung
Aufgrund degenerativer Prozesse (auch kausal posttraumatisch) kann es zu Höhenminderungen mit Okklusionen, teils mit Invagination der Vertebralarterien kommen.
Arteria-Vertebralis-Kompessionssyndrom (M47.0+ G99.2*)
Posttraumatisch kann es zu einem meist diskret und nur schwer mittels bildgebender Diagnostik abbildbarem Arteria-vertebralis-Kompressionssyndrom kommen. Die Arterie kann wie bereits (o.) erwähnt durch Luxationen von Wirbeln in ihrem Fluß intermittierend beeinträchtigt werden. D.h. atlantookzipitale Instabilität, atlantoaxiale Instabilität und (oftmals diskrete, weil durch Schutzspasmus bei bildgebender Diagnostik wiederholt maskierter) Listhesen (möglich sind Anterolisthesis, Retrolisthesis, rotatorisch-anguläre-lateral-translative Listhesis; Segmentkollaps) können zu haltungsabhängigen strömungsrelevanten Stenosen führen.
Weitere Hinweise zum Arteria-vertebralis-Syndrom
Bei Vorliegen von VBI-Symptomen (im Prinzip die klassischen Symptome der Kopfgelenksinstabilität) ist der Verdacht eines Arteria vertebralis-Syndroms zu stellen.
Dabei lassen sich ätiologisch verschiedene Formen unterscheiden:
zum einen das intravaskuläre A.-v.-Syndrom mit arteriosklerotisch oder intima-bedingter Gefäßstenose (Artheriosklerose, als Akutfall die Vertebralisdissketionen, wobei die Vertebralisdissektion häufig als HWS-Traumafolge zu bewerten ist),
zum anderen das Arteria-vertebralis-Kompressionssyndrom (M47.0+, G99.2*) mit (teilweise intermittierender) Gefäßkompression unter anderem infolge spondylogener Ursachen wie degenerativen Veränderungen der Halswirbelsäule, Bandscheibenprolaps (zervikocephales Syndrom), Luxationen und Subluxationen (Listhesen der Halswirbelsäule und des kraniozervikalen Übergangs; also Kopf-HWS-Instabilitäten).
Instabile Zwischenwirbelverbindungen können durch Verschiebungen/Verdrehungen von Wirbeln gegeneinander aufgrund von ligamentärer und/oder kapsulärer Rupturen sowohl zervikale Kompressionsmyelopathien, als auch intermittierende Perfusionsstörungen (Kompression/Okklusion) der Vertebralarterien mit Minderdurchblutung des vertebrobasilären Versorgungsgebietes verursachen. Dies kann einerseits unkontrollierbar bei Reduktion des Muskeltonus (bspw. während des Schlafens, ggf. mit lebensbedrohlichem hypoxischen Weckreiz) eintreten, aber ebenso bei erhöhter Muskelspannung in statischer Haltung.
Als Leitsymptom gilt der zentrale meist plötzlich auftretende
Schwindel.
Hinzu kommen verschiedene diffuse reversible neurologische
Begleitsymptome, wie Depression, Nackenschmerzen, Okzipitalschmerzen,
Sehstörungen, Ohrgeräusche, Sensibilitätsstörungen, Übelkeit und Erbrechen,
zerebelläre Ataxie. Diese Symptome sind oftmals verbunden mit hohem
Leidensdruck und auch vitaler Bedrohung durch mannigfache diffuse
Regulationsstörungen wie plötzliche Blutdruckabfälle oder -krisen.
Diagnose
Den Beschwerden gemein ist, daß sie willkürlich in der Regel aufgrund der körpereigenen Schutzspannung nicht reproduzierbar sind und die unspezifische Natur und Gelegentlichkeit macht es für Ärzte schwer, das kompressionsbedingte A.-v.-Syndrom zu erkennen.
Zur Ursachenabklärung dient die bildgebende Diagnostik. Ist die MRT-Darstellung der Halswirbelsäule nicht hinweisgebend auf eine kompressionsbedigte Ursache, sollte zur Abklärung der Hämodynamik eine Duplexsonographie und auch eine Angiographie (digitale Subtraktionsangiographie, DSA) mit Funktionsprüfung der HWS in alle Raumrichtungen, Nick- und Rotationsbewegungen, Ante- und Retroflexion, sowie Lateralflexion, unter massiver Muskelrelaxation in Erwägung gezogen werden.
Differentialdiagnostisch sollte insbesondere bei erstmaligem Auftreten der Symptomatik ein akuter Gefäßverschluss oder eine Stenose im Bereich der Arteria subclavia oder Arteria basilaris ausgeschlossen werden. (vergleiche TIA) Bezüglich der Symptomatik kann auch ein Subclavian-Steal-Syndrom in Frage kommen.
Therapie
Zur Therapie kommen je nach Genese der vertebrobasilären Perfusionsstörung folgende kausale Ansätze:
- bei zervikalem Bandscheibenprolaps (Zervikozephales Syndrom) die Exzision des prolabierten Nucleus pulposus (Nukleotomie)
- bei atlantoaxialer Instabilität, atlantookzipitaler Instabilität, okzipitoatlantoaxialer Instabilität (Densapix-Disruption) die dorsale chirurgische Stabilisierung mittels Stab- oder Plattensysteme
- bei Spondylolisthesis, sowie bei (Mono- oder Multi-)Segmentkollaps im Bereich der restlichen Halswirbelsäule, vorzugsweise ventrale Stabilisierung, Diskektomie mit Einsetzen von Caches und Verriegelungsplatte oder ventrodorsale Stabilisierungseingriffe
Auslenkung der Arteria vertebralis bei Spondylophyten
Als Spätfolge eines HWS-Traumas kann es aufgrund von Narbenbildung des Weichteilgewebes und Deformierungen der Halswirbelkörper mit Entwicklung von Wirbelkörperanbau- und Abstützungsvorgängen in Form von Ostheophytenbildungen zu Beeinträchtigungen des Verlaufs der Arteria vertebralis kommen.
Dies kann beispielsweise durch coronare MRT in Form einer Auslenkung durch HWS-Spondylophyten abgebildet werden.